Offener Brief an Schiedsgericht und Spielleiter Herrn Dippe


[ Antworten ] [ Ihre Antwort ] [ Forum www.fvschach.de ]

Abgeschickt von Robert Schmidt am 22 Februar, 2002 um 16:14:07

Offener Brief an das Schiedsgericht des FV Schach und den Spielleiter Herrn Dippe


Sehr geehrte Mitglieder des Schiedsgerichts,

mit deutlicher Mehrheit von 5 zu 2 Stimmen haben Sie die vorangegangene Entscheidung des Spielausschusses zum Protest der BSG WiHeil gegen die Wertung der Partie Mahn-Dr. Lang und damit das Erringen eines Mannschaftspunktes von WiHeil gegen IBM bestätigt.
Normalerweise hätte dieser Vorgang nun sein Bewenden. Schließlich haben sich zwei Gremien damit beschäftigt und jeweils der BSG WiHeil Recht gegeben.

Warum also noch dieser offene Brief ?

Kurz und knapp: Ihre Entscheidung ist meines Erachtens nicht nur eine Fehlentscheidung sondern ein handfester Skandal, so daß man nicht wieder zur Tagesordnung übergehen kann.

In Ihrer Begründung vom 2.2.02 führen Sie an, daß 2 Mitglieder des Schiedsgerichts nicht nur gegen die Entscheidung waren, sondern diese für untragbar hielten.
Diese Auffassung vertrete ich genauso wie die BSG IBM, deren Mitglied ich bin.
Der Minderheit des Schiedsgerichts danke ich ausdrücklich für ihr klares und eindeutiges Votum und beziehe die nachstehende Kritik ausdrücklich nicht auf diese 2 Mitglieder!

Nun ist es eigentlich nichts Besonderes, daß der Unterlegene eines Rechtsstreits anderer Auffassung war und ist und sich ungerecht behandelt fühlt.

Urteilen Sie - sehr geehrte Mehrheit des Schiedsgerichts, andere interessierte Mitglieder des FVSchach und weitere interessierte Leser - selbst, ob die folgenden Vorwürfe berechtigt sind (eine ausführlichere Darstellung des Streitvorgangs erfolgt an anderer Stelle im Forum des FVSchach):

Ihre Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht ein Skandal:

1. juristische Sicht

a) Abschaffung einer bestehenden TO-Regelung ohne Regelungskompetenz
b) Nichtbeachtung des Vertrauensschutzes einer bestehenden Regelung
c) unterlassene Ermessensentscheidung bei Sanktion

Die ausdrückliche in 1.7.3 TO unter der Überschrift Bedenkzeit enthaltene Regelung “Von den Spielern werden beste Umgangsformen erwartet.” heben Sie mit der Begründung auf, daß damit die im FVSchach abgeschaffte Schnellschachphasenregelung nach Art. 10 Fide wieder eingeführt würde.
Wer oder Was gibt Ihnen das Recht eine explizit in der Turnierordnung enthaltene und für das Schach als Denk- und nicht als Bewegungssport wichtige Regelung wie 1.7.3. nicht anzuwenden?
Ich denke, der Inhalt bester Umgangsformen ist bei der weit überwiegenden Mehrheit
der Schachspieler unstrittig und besagt, daß nicht lediglich auf die Bedenkzeit des Gegners gespielt wird, wenn ein schachlicher Gewinn objektiv nicht mehr zu erwarten ist.
Haben Sie sich eigentlich überlegt, was ein Schachfreund vor Turnierbeginn darunter versteht, wenn er die Regelung des 1.7.3. TO liest? Er hat Vertrauen darin, daß er neben der ungeschriebenen und (wie von Ihnen leider wiederum bestätigt) nicht einklagbaren Schachmoral auch durch die Turnierordnung davor geschützt ist, in bekannten Remisstellungen über die Zeit gehoben zu werden.
Dieses Vertrauen ist Ihnen aber nichts wert, weil Sie mit Ihrer Entscheidung einfach die Fairness-Regelung des 1.7.3. TO abschaffen! Dazu haben Sie aber keine Befugnis, weil der Vorstand der FVSchach trotz Abschaffung der Schnellschachphase die Regelung in 1.7.3. TO bestehen ließ und Sie als Schiedsgericht nicht berechtigt sind, die TO zu ändern.
Ihre Entscheidung und Begründung erscheint mir in dieser Hinsicht überspitzt so, als würde man in der Endphase einer Partie einem Spieler mitteilen, die Bedenkzeit betrage nicht 2 Stunden sondern nur noch 1,5 Stunden. Der Vorstand habe dies beschlossen und nur versehentlich noch nicht in die Turnierordnung geschrieben. Pech für denjenigen, der seine Partie auf 2 Stunden eingerichtet hat!
Sicherlich stimmen Sie mir zu, daß dies ein Skandal wäre - nichts anderes ist im Ergebnis Ihre Weigerung die ausdrückliche Regelung des 1.7.3. TO anzuwenden.

Selbst wenn man - wie Sie vermutlich - unterstellt, daß der Vorstand die Verhaltensregelung gleich mit abschaffen wollte und nur redaktionell versagt hat, gebietet es die juristische Sicht, das Vertrauen der Spieler in die geschriebene
Regelung des 1.7.3 TO zu schützen.
Ohne die Regelung des 1.7.3. wären sicher schon früher Diskussionen über offensichtliche Nachteile des Spielmodus in der FVSchach im Sinne Ihres Schiedsspruchs aufgekommen und hätten zu einer angemessenen Fassung im Sinne des Schachsports geführt, um solche Unappetitlichkeiten wie im Streitfall zu vermeiden.
In Kenntnis der Regelung des 1.7.3. war es für faire Schachsportler und Schachfreunde bisher nicht erforderlich, eine Konkretisierung oder Klarstellung der Turnierbedingungen zur Vermeidung unsportlicher Ergebnisse und Verhaltensweisen ausdrücklich festzuschreiben, weil alle betroffenen Spieler auf die eindeutige und unter der Rubrik Bedenkzeit unmißverständliche Regelung vertrauen konnten und durften. Dieses Vertrauen haben Sie zerstört und damit einen juristisch aber vor allem schachsportlich unhaltbaren Zustand geschaffen.

Sie erkennen zutreffend, daß 1.7.3. TO in Widerspruch zur Abschaffung der Schnellschachphase stehen könnte, und lösen die Abwägungsfrage dahingehend, daß Sie 1.7.3. TO abschaffen.
Ich übersetze Ihnen Ihr Ergebnis gerne noch einmal:
Sie halten die Einhaltung bester Umgangsformen - gleichbedeutend mit allgemeiner sportlicher Fairness - für nachrangig bzw. unwesentlich! Gleichzeitig verletzen Sie das Vertrauen aller Schachspieler, die Wettkämpfe in der FVSchach nach der geschriebenen Turnierordnung aufgenommen haben, darauf, daß Sie in offenkundigen Remisstellungen ohne praktische Chancen nicht über die Zeit gehoben werden!
Hierzu muß ich Ihnen mitteilen, daß Sie ein peinliches und beschämendes Ergebnis (die praktischen Auswirkungen werde ich Ihnen an anderer Stelle verdeutlichen) in juristisch dilettantischer Art erzielt haben!

Sogar wenn man der abwegigen Meinung ist, 1.7.3. gilt nicht oder ist nachrangig, weil die Abschaffung einer früheren Regelung sonst keine Wirkung entfaltet, ist es nicht verständlich, wie Sie einen Regelverstoß des Spielers Mahn annehmen können, der sich zutreffend auf 1.7.3. TO und die auch im Bereich der FVSchach geltenden Fide-Bestimmungen zum Schiedsrichtereinsatz beruft, und zusätzlich ausgerechnet die für einen Regelverstoß vorgesehene Höchststrafe - den Partieverlust - bestimmen, ohne zu überprüfen und zu begründen, weshalb nicht die von der Fide angeführten geringeren Strafen angemessen wären. Einzelheiten wurden Ihnen bereits in der Gegenvorstellung vom 8.2.02 dargelegt.


2. schachsportliche Sicht

Neben den groben juristischen Fehlern ist es jedoch noch viel schlimmer, daß sie allgemeine Werte des Schachspiels und des Zusammenlebens verletzen, indem sie mit eigentlich unzulänglichen juristischen Mitteln versuchen, eine derzeit noch selten vorkommende aber trotzdem unerhörte Unsportlichkeit mit den Mitteln der Turnierordnung zu rechtfertigen, anstatt sie mit vorhandenen Mitteln der Turnierordnung angemessen zu sanktionieren.
Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, welchen Hohn es darstellt, wenn Sie eine ausdrückliche Anstands- und Fairnessregelung, wie sie 1.7.3 TO darstellt einfach als nachrangig bzw. als nicht existent beachten? Wichtiger ist es Ihnen dagegen, jemandem zum Erfolg zu verhelfen, der gegen die allgemeinen und hier sogar geschriebenen Anstandsregeln des Schachs verstößt.
Mit Ihrer Begründung, daß viele Betriebsschachspieler es als unfein empfinden, in Remisstellungen ihre Gegner über die Zeit zu heben und es deshalb auch nicht tun, und trotzdem ein abweichendes Verhalten , wie das von Dr. Lang, gestärkt durch Aufforderungen seiner Manschaftskameraden Bachmann und ML Janik, nicht sanktionsfähig sei, schlagen Sie dem schachlichen und dem allgemeinen Anstand geradezu ins Gesicht, indem Sie eine unanständige und verwerfliche Verhaltensweise belohnen und damit zur Nachahmung anregen.
Ein Skandal wird daraus, weil Ihnen die Turnierordnung die Möglichkeit ohne juristische Verrenkungen an die Hand gegeben hat, eben diese verwerfliche Verhaltensweise zu unterbinden.
Mit Ihrer Entscheidung benachteiligen Sie die anständigen Schachspieler! Oder sollen diese unfein werden, damit die Einzel- und Mannschaftsergebnisse nicht zu Gunsten der “Bedenkzeitsportler” ausfallen?
Ich habe seit dem Vorfall mit WiHeil 4 Mannschaftskämpfe erlebt, in denen eine absolut vergleichbare Situation sportlich fair und mit bestem Verhalten in Einklang mit der Turnierordnung remis ausging, obwohl mit WiHeil-Technik und Unterstützung durch Spielausschuß und Schiedsgericht mancher Mannschaftspunkt anders verteilt worden wäre.
Die beteiligten Spieler haben aber gewußt, daß das Ziel des Schachspiels die Mattsetzung des Gegners und nicht das Heben über die Zeit ist.


Zusammenfassung

Die Summe Ihrer Fehlbeurteilungen und Unterlassungen sind meines Erachtens derart gravierend, daß man hier nicht nur von einer unglücklichen Entscheidung oder Fehlentscheidung, sondern von einer Skandalentscheidung sprechen muß.
Auch unter Berücksichtigung Ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit, wofür man Ihnen grundsätzlich Respekt zollen muß, kann ich für eine derartige Fehlleistung Ihrerseits kein Verständnis aufbringen und hoffe, daß sich viele Schachfreunde dieser Meinung anschließen.
Aus meiner Sicht ist weder Ihre Entscheidung noch Ihre weitere Tätigkeit tragbar!
Will der FVSchach den Denksport in Richtung Bewegungssport mit Figurenzieh- und Uhrendrück-Wettbewerb weiterentwickeln, so sollte er dies durch Streichung von 1.7.3. TO offenlegen, damit alle Schachspieler entscheiden können, ob Sie unter diesen Bedingungen Wettkämpfe bei der FVSchach bestreiten wollen.

Auf ein Wort noch ..

Sehr geehrter Herr Dippe,

nach der Entscheidung des Schiedsgerichts sollen Sie geäußert haben, daß die Entscheidung des Schiedsgerichts ja gar nicht anders ausfallen konnte.
Ich weiß nicht, wie Sie dies gemeint und ob Sie nachgedacht haben!
Angesichts des Minderheitsvotums zweier Mitglieder des Schiedsgerichts und meiner obigen Ausführungen, sollten Sie dringend darüber nachdenken und beziehen Sie bitte alle kritischen Ausführungen zur Entscheidung des Schiedsgerichts auch auf die Entscheidung des Spielausschusses, wobei hier der Schwerpunkt auf der schachsportlichen Fehlleistung und etwas weniger auf der juristischen Würdigung liegt.


Hochachtungsvoll

Robert Schmidt (BSG IBM 2. Mannschaft)





Antworten:



Ihre Antwort

Name:
E-Mail:

Subject:

Text:

Optionale URL:
Link Titel:
Optionale Bild-URL:


[ Antworten ] [ Ihre Antwort ] [ Forum www.fvschach.de ]